Es gibt keine Kinderabenteuer mehr

06.08.2017 00:00

In meiner Kindheit Anfang der 60er Jahre wohnten wir in einem Salzburger Dorf in einer kleinen Siedlung in Häusern mit Gärten meist neu erbaut entlang eines Baches. Es gab viele Kinder und keinen Kindergarten. Auf der anderen Seite der Straße, damals noch geschottert, war ein Hang, darüber eine Molkerei mit hohem Schlot und unter der Molkerei in den Hang hinein gebaut ein düsterer langsam verfallender kühler Keller, von dessen Decke es tropfte, Schutt umher lag und seitlich weitere lichtlose Kammern weiter in den Hang hinein führten. Wir sollten da hinein nicht gehen (taten es aber natürlich mit Gänsehaut). Es wurde erzählt, dass da ein Gang weiterführen würde bis zu einer weiter weg liegenden Burgruine. Wirklich wusste es niemand. Der Hang anschließend war bewaldet und dieser kleine Wald beherbergte auch noch ein betoniertes Geviert, dessen Zweck niemand kannte, darüber war noch ein mehrere Meter hoher runder Betonbehälter eine übelriechende Brühe aus der Molkerei beinhaltend (ob dieser eingezäunt war, weiß ich heute nicht mehr). Es lagen im Wald Glassplitter und so mancher Unrat umher. Dieser Wald war unser Spielplatz, der Geheimnisse barg, mit einem toten Baum unten am Straßenrand, dessen nackter Stamm zuerst schräg und dann waagrecht vorragte und für uns Kletter- und Sitzplatz war. Im Wald standen auch zwei kleine Häuschen. In dem einen wohnte eine Frau, die uns manchmal gezuckerte Orangenspalten fütterte. Die waren köstlich und wir sperrte unsere Mäuler nach der Reihe weit auf. Wir spielten Indianer und wir hatten einen Häuptling, den Edwin, der so ca. drei bis vier Jahre älter war als wir und uns alles lehrte, was Indianer wissen müssen. Uns war klar, so klug wie Edwin war keiner. Hinter unserem Haus schloss auch ein kleiner Wald an, der den steilen Hang zum Bach hinunter bedeckte. Als ich so vier Jahre alt war, wurde ich vom Franz, ein Jahr älter als ich, einmal dort hinunter gestoßen. Zu Glück blieb ich beim letzten Baum vor dem Bach hängen, denn der führte gerade Hochwasser. Auf der anderen Seite des Baches war Niemandsland, wohin wir nicht so leicht gelangen konnten. Dort waren Wiesen und auch ein kleines Weidenwäldchen, das wir nur sehr selten betreten haben. Unseren Horizont bildete der Schoarer, ein Hügel, der im Winter ein Eldorado für Schi- und Schlittenfahrer war.  Wir Kinder bevorzugten aber die Leiten zwischen der Wies- und der Riedermühle. Damals gab es noch keine Lifte und im Winter wimmelte es dort von guten und schlechten Schifahrer (wie mich). Wir stapften selbst die Piste aus, mit einer leichteren Variante hin zur Riedermühle und einem kleinen Steilhang geradeaus runter über die Straße zur gegenüberliegenden Wiese. Der alte Riedermüller hatte zwar schon einen Steyr Traktor, aber auch noch zwei Haflinger und er fuhr damit oft an unserem Haus, einer kleinen Bäckerei mit Brotladen, vorbei. Obwohl das schmutzige Gefährt und auch der Riedermüller recht arg nach Mist stanken, fuhren wir doch immer gerne mit. Manchmal spielten wir auch im Bach, schleppten Steine, bauten Dämme damit. Aufpassen mussten wir auch dort, denn auch im Bachbett konnte man sich mit Scherben oder rostigen Nägeln verletzen. Einen Kanal gab es im Dorf damals noch nicht. Die Fäkalien wurden in Senkgruben gesammelt. Einmal beobachtete ich, wir ein Mann seine Grube ausschöpfte. Allerdings gleich hinunter in das Bachwasser, auf dem die Kotwürstel hinunter zum See tanzten. Der Schulweg führte hinter einer Fleischhauerei vorbei und manchmal kam ich dazu, dass gerade ein Rind oder ein Schwein abgeladen wurde. Es waren die Todeskämpfe der Tiere, die sofort geschlachtet wurden. Die Fleischer versuchten mich weg zu scheuchen. Zwar wich ich ein wenig zurück, um gleich wieder näher zu kommen. Dieses blutige Geschehen faszinierte mich. Ich fand das keineswegs gruselig, als Teil der Normalität und ich musste auch von keinem Kriseninterventionsteam betreut werden.

Bildquellen: Die Welt, Familie-und-Tipps.de

Heute ist der alte einsturzgefährdete Keller schon lange zugeschüttet, die jungen Eltern von damals vielfach gestorben oder zumindest sehr alt. Kinder gibt es in dieser Siedlung keine mehr. Der kleine Wald steht noch, aber kaum einmal betreten, auch die Bäume sind schon sehr alt. Das Dorf ist enorm gewachsen, hat heute dreimal mehr Einwohner als damals. Über den Bach führt eine Brücke hinüber zum einstigen Niemandsland, heute ein Park mit Musikpavillon, Spielplatz und anschließenden Tennisplätzen. Kinder spielen am Spielplatz, ständig beobachtet von Eltern, die ansonsten befürchten müssten, bei Unfällen wegen Verletzung der Aufsichtspflicht belangt zu werden. Geräte stehen dort umher, wie sie auf vielen Spielplätzen herum stehen. Fantasielos, langweilig. Die Mütter arbeiten, geben die Kleinen in der Kinderkrippe ab, danach folgen Kindergarten und schließlich die Schule, Ganztagsschule. Danach hetzen sie mit den Sprößlingen in die Musikschule, zum Nachhilfeunterricht, zum Training oder zur Kinderparty. Von Montag bis Freitag ist heute das Leben der Kinder vom Windelalter bis Ende der Schulpflicht reglementiert und beaufsichtigt. Und an den Wochenenden spielen die Kinder vor den PC-Schirmen, skypen, twittern oder erlegen virtuelle Ungeheuer, vernichten Panzer und Armeen, abgeschirmt von jeglichen möglichen Gefahrenquellen oder eben am Spielplatz. Manchmal fahren die Eltern mit den Kindern angegurtet am Rücksitz am Wochenende oder im Urlaub fort. In den Händen halten die Kleinen Smartphones und spielen……